ein Datum auf ewig unvergessen, drei Tage nach meinem 9.Geburtstag, und rückwirkend betrachtet, mein zweiter. Sehr viele Schutzengel haben auf mich aufgepasst und mir mein Leben geschenkt. Natürlich könnte man dies auch anders sehen, viele Jahre habe ich das auch getan, mir immer wieder die Frage gestellt, warum ich?
Es war ein Sonntag und für den Herbst war es angenehm lau. Von meinen Eltern habe ich Reitstunden im benachbarten Reitstall geschenkt bekommen, die erste davon haben wir an diesem Tag eingelöst. Weil ich unbedingt wollte, dass meine Freundinnen dieses für mich so große Erlebnis mit mir teilen, haben wir Claudia und Sabine eingeladen mit uns zu kommen. Da der Reitstall nur einen Kilometer von uns entfernt war, sind wir mit dem Rad gefahren. Claudia und Sabine, beide Schwestern, hatten nur eines gemeinsam. So haben wir beschlossen, dass Claudia mit ihrem Rad fährt, und Sabine mit meinem, ich habe mich bei ihr hinten auf den Gepäckträger gesetzt. Für die paar Meter war das schon OK. Wir haben das schon oft so gemacht, bei uns am Land fand man nichts dabei und es hat auch immer riesig viel Spaß gemacht. Auf dem Heimweg waren wir voller Eindrücke und total gut gelaunt. Claudia wollte nach Hause, so sind wir bei ihrem Haus vorbei und haben Sie abgesetzt. Sie wohnten auch nur einmal ums Eck von meinem Elternhaus.
Meine Mutter nahm den direkten Weg fuhr auch ein wenig langsamer, so trafen wir uns noch vor der nächsten Kreuzung wieder. Wir bogen links ab, und dann ging alles verdammt schnell. Bevor wir es gesehen hatten, war es auch schon da. Ein Auto kam die Straße rauf, mit rund 70km/h in einer 30er Zone. An sich hatten wir Rechtsvorrang, jedoch ist diese Kreuzung (das ist sie nach wie vor) so uneinsichtig, dass man schon ein Stück weit rein fahren muss um sie einzusehen. In diesem Fall ging es einfach Knall auf Fall. Das Auto kam und erfasste uns am Rad. Ich hörte das Quietschen der Reifen und dann nur noch das Schreien von Sabine. Sie hat sich gar nicht mehr beruhigt und unentwegt geschrien. Alle Nachbarn kamen auf die Straße gelaufen und waren total panisch. Die Rettung wurde gerufen und alle waren super hektisch. Ich lag auf dem Asphalt, mit dem Kopf zwischen Betonwand und Telegraphenmasten. Durch den Aufprall muss ich durch die Luft geschleudert worden sein und war so unglücklich eingekeilt gelandet. In dem Moment tat mir gar nichts weh, und ich verstand die ganze Aufregung nicht. Nervös hat mich Sabines Schreien gemacht, niemand konnte mir sagen was mit ihr war, warum sie so schrie. Als die Rettung eintraf lag erst mal die volle Konzentration bei ihr, Sabine wurde in den Rettungswagen verladen und dann wurde darüber diskutiert, ob jetzt noch ein zweiter Wagen gerufen werden sollte, oder ob sie mich auch gleich mitnehmen können. Es gab irgendein Problem mit den Betten, nur eines davon war gefedert und deshalb wollten Sie nicht zwei Patienten mit ungewissen Verletzungsgrad gemeinsam mitnehmen. Letztendlich taten sie es doch, weil alle darauf bestanden, mich nicht länger hier liegen zu lassen.
Wir fuhren ins nächstgelegene Krankenhaus nach Baden. Dort habe ich Sabine sofort aus den Augen verloren. Ich wurde auf den Röntgentisch gelegt, und da tat es erstmals so richtig weh, das steinharte Brett, und der Pfleger hat die Landung auch nicht besonders sanft gestaltet. Kurze Zeit später waren die Bilder ausgewertet und alle rundum in Aufruhr. Die Ärzte sagten, dass sie mich auf keinen Fall behandeln werden, dass die Brüche viel zu kompliziert wären und sie nicht dafür eingerichtet sind. So wurde ich wieder in die Rettung gesteckt und nach Mödling gebracht. Dort waren schon alle alarmiert und warteten auf das Eintreffen des Rettungswagens. Ich wurde gefragt, was und wann ich zuletzt gegessen hatte. Dann hat man mich in einen freien Behandlungsraum geschoben und ohne Vorwarnung versucht mir einen Katheter zu setzten. Diese Sache ist grundsätzlich schon nicht angenehm, aber für ein Kind, das nicht weiß was man mit ihm machen will, und wozu das gut sein soll, ist das nicht zu nehmen. Ich habe mich gesträubt und gewehrt und geschrien, vor lauter Angst und Unverständnis. Danach war ich total erschöpft und wollte nur noch schlafen, alles an mir hat weh getan und die Atmosphäre rundum war einfach nur beängstigend. Warum Erwachsenen immer glauben, dass sie in Gegenwart von Kindern alles aussprechen können, ohne dass man hört was sie sagen. Wie soll das gehen? Alles was Erwachsenenohren hören, hören auch Kinder. Vielleicht können diese den Sinn nicht ganz erfassen, aber taub sind sie nicht. Man hat meinen Eltern erklärt, dass die Hüfte total zertrümmert ist, alles nur Matsch. Sie haben den Primar im Urlaub angerufen und gebeten zu kommen, denn keiner von den diensthabenden Ärzten traute sich diese Operation zu. Somit hieß es warten, bis der Chef da war.
Als der Primar eintraf war ich von den Schmerzmitteln so betäubt, dass ich mich wie in Watte gebettet fühlte. Alles lief in Zeitlupe an mir vorüber, Gesichter die sich mir näherten wurden zu riesigen verschwommenen Grimassen. Dann ging alles sehr schnell, mit der Barre in den OP und rasch umgebettet auf den OP-Tisch, kurz darauf war es finster.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Gitterbett, der Mund ganz trocken, ich konnte kaum schlucken. Rund um mich hörte ich nichts als ständig leises Piepen. Ober mir hingen eine Blutkonserve und eine große Flasche mit klarer Flüssigkeit. Wie uns später erzählt wurde mussten Blutkonserven aus einem anderen Spital mit dem Hubschrauber eingeflogen werden, da von meiner Blutgrppe, die eher selten ist, zu wenig vorrätig war. In den sieben Stunden dieser großen Operation habe ich sehr viel Blut verloren, kein Wunder – der Narbe nach zu schließen war es ein großes offenen Schlachtfeld. Ein Schlauch führte in den linken Arm, einer in den rechten. Als ich versuchte meine rechte Hand zu heben um zu schauen wo der Schlauch hinging, wurde das Piepen lauter und eine Schwester eilte zu meinem Bett. Ich war an einem Dauer EKG angeschlossen, welches jede Bewegung und jede Veränderung der Herzfrequenz aufzeichnete. Es war mir gar nicht möglich die Hand zu heben, da ich links und rechts an das Gitter angebunden war. Die Schwester erklärte, dass dies zu meinem Wohl sei, damit ich mir nicht aus Versehen, einen der Zugänge rausreiße. Diese geringe Anstrengung, reichte aus um mich für Stunden wieder schlummern zu lassen.
Die drei Tage auf der Intensivstation vergingen rasch, die meiste Zeit habe ich geschlafen, munter war ich meist nur für Visiten und Untersuchungen, wofür man mich aufweckte.
Wo ist die absolut unangenehmste Stelle am Körper um Blut abzunehmen? Wir reden hier nicht von der Armbeuge, dem Handrücken, dem Unterarm, usw. Es ist die Leiste. Jeden Tag hat mir die nette Schwester direkt am rechten Beinansatz Blut abgenommen. Warum auch immer, sie hat es mir erklärt, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern, fand es damals auch nicht logisch, aber was versteht man mit 9 Jahren schon von Blutwerten. Ich war froh, die Intensivstation verlassen zu dürfen, das war ein Lichtblick und den hatte man mir auch so verkauft. Schau, es geht dir schon besser, du darfst auf die normale Station. Mir war nur wichtig, aus der Reichweite des Blutsaugers zu kommen, das habe ich auch mehrfach hinterfragt, ob auf der normalen Station auch so oft Blut genommen wird, oder ob ich dort mehr Ruhe haben werde.