Nach nun 30 Jahren bin ich das erste Mal auf REHA. Im Alter von 20 Jahren war ich auf Kur, aber das ist mit REHA nicht zu vergleichen. Bis zu vier Stunden Sport unter Aufsicht mache ich hier täglich. Jede Übung wird so lange geübt und korrigiert, bis sie richtig ausgeführt wird, da gibt es kein schummeln oder halbherzige Mitarbeit – bei mir halt nicht. Wie immer zeige ich auch hier einen enormen Ehrgeiz und Willenskraft. Es ist mir wichtig, in diesen drei Wochen meine Defizite aufzudecken und daran zu arbeiten. Jeder einzelne Physiotherapeut beobachtet genau und achtet auf jeden Schritt. Nicht einmal, dass ich ich einen Gang entlang schlendere und darauf aufmerksam gemacht werde, Becken kippen und Bauch anspannen, dann ist das Hinken nicht so stark ausgeprägt!
Spannend, ich sehe mich schon länger nicht mehr hinkend vor meinem inneren Auge. Aber wie ich hier lernen darf, weicht hier Fremdbild und Eigenbild deutlich von einander ab. Erst vor ein paar Tagen, ich war abends auf dem Weg zurück ins Zimmer, sprach mich ein älterer Herr an. Er saß in einer Gruppe und bat mich kurz stehen zu bleiben. Ich dachte, jetzt kommt wieder der übliche Spruch von wegen Rapunzel und so, mein langer geflochtener Zopf scheint hier Beachtung zu finden. Nein, er erzählte seiner Tischrunde, dass er neben mir im Fitnessraum auf dem Fahrrad gesessen habe und mich auf dem Crosstrainer beobachtet hat. Das hat mich nicht weiter verwundert, denn wenn ich auf dem Crosstrainer trainiere, habe ich Kopfhörer auf, höre ACDC und konzentriere mich darauf im Takt zu laufen, da bekomme ich rund um mich herum kaum etwas mit. Seine Frage hat mich dann doch nachdenklich gemacht. Er schildert, du hast einen Oberschenkel wie aus Stahl und läufst wie eine Maschine, wie kommt es, dass dein zweites Bein so schmal ist und trotzdem dieses Tempo mithält?
Wow, ich war kurz sprachlos. Nicht weil ich zum ungezählten Male erzähle warum ich hier bin, nein, ich war ernsthaft erstaunt, dass es nach wie vor so offensichtlich ist, dass ich anders aussehe als die meisten anderen Patienten, sogar hier auf REHA. In meiner eigenen Wahrnehmung habe ich mein linkes Bein dem rechten schon angeglichen. Es kommt wahrscheinlich dadurch, da ich so vieles an Bewegung und Sport mache, was mir früher verwehrt war. Viele gesunde Menschen können nicht an einem Tag 130 Kilometer mit dem Rad fahren, für mich ist das mittlerweile ein liebgewonnenes Hobby geworden. Dank dem tollen Einsatz des Orthopädietechnikers der Firma Fischer habe ich eigens für mich preparierte Langlaufski und habe vor fünf Jahren gelernt damit zu laufen. Mit meinem Mann kann ich ganz gut im eingeschränkten Bereich Badminton spielen. Auch längere Spaziergänge sind meistens schmerzfrei möglich. Spinning und Crosstrainer gehören zu meinem regelmäßigen Fitnessprogramm. Aber ja, wenn ich der Realität ins Auge schaue, trotz dem intensiven Training in den letzten Jahren wird es mir optisch nicht gelingen, das linke dem rechten Bein anzugleichen.
Aber eines ist mir dankbar bewußt, ich bin schmerzfrei! und momentan bin ich so fit wie noch nie zuvor in meinem Leben, aber ja, ich werde ein Leben lang viel für mich machen müssen, um das Muskelkorsett stabil und aufrecht zu halten. Eines dürfen wir nie vergessen – wir machen all die Übungen, all den Schweiß und all die Mühe immer nur für uns selbst! Nicht für die Ärzte, nicht für die Therapeuten! In diesem Sinne – schaut auf euch – Zähne zusammen beißen, Schweinehund überwinden und los geht´s!
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