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Chorea Huntington

im Zusammenhang mit Chorea Huntington höre ich oft die selbe Frage, was ist das?

CH ist eine Genkrankheit, die in direkter Linien weiter vererbt wird. Das bedeutet, wenn ein Elternteil das defekte Gen in sich trägt, kann er das an seine Kinder weiter geben, die Chancen, dass das oder die Kinder betroffen sind liegt jeweils bei 50 Prozent.

Wie äußert sich CH? der Krankheitsverlauf ist nicht bei jedem gleich, und auch unterschiedlich ausgeprägt. Das defekte Gen lässt Gehirnzellen in einem bestimmten Areal absterben, es bilden sich im wahrsten Sinne des Wortes schwarze Flecken. Je nachdem wo das Zellsterben beginnt, sind die Auswirkungen am Körper oder in der Psyche spürbar. Gleichgewichtsstörungen, Taumeln, Sprachstörungen, Kopfschmerzen bis hin zu starker Migräne, Depression, Aggression, Demenz, Muskelstarre, Schluckstörung, Atemlähmung. Nach Ausbruch der Krankheit ist die Lebenserwartung noch maximal 13 bis 15 Jahre, wobei die letzten 3 bis 5 Jahre ohne fremde Hilfe nicht möglich sind.

Ist CH heilbar? Nein, Chorea Huntington ist eine bislang unheilbare Krankheit und führt auf jeden Fall zum Tod, entweder durch Verhungern, oder Ersticken – beides zweifelsohne keine wünschenswerten Todesarten.

Was kann man gegen Chorea Huntington tun? Derzeit können nur die Symptome behandelt werden, Tabletten gegen die enormen Kopfschmerzen, Muskelrelaxtate gegen die Muskelverhärtungen, Logopädie für die Sprachstörung und nicht zu vergessen Psychotherapie um überhaupt damit klar zu kommen, eine unheilbare Krankheit zu haben.

Der Gentest: Sowohl mein Vater, als auch meine Großmutter und Urgroßmutter sind an Chorea Huntington erkrankt und verstorben. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich dieses defekte Gen geerbt habe liegt bei 50 Prozent. Das Testverfahren besteht aus mehreren Stufen und beginnt mit einem Erstgespräch in der Praxis für Humangenetik. Hier wird vom Arzt der Familienstamm erhoben und die Linie von Chorea Huntington bildhaft dargestellt. In meiner Familienhistorie ist ersichtlich, dass das defekte Gen besonders dominant ausgeprägt ist, da meine Großmutter erst mit über 60 von der Krankheit gezeichnet wurde und mein Vater bereits mit 50 Jahren. Das bedeutet, dass das Gen mit jeder Generation früher zum Ausbruch kommt.

Der zweite Schritt, ist ein Gespräch mit einem Psychologen, der mit Chorea Huntington vertraut ist. Es werden speziell die Fragen der Suizidgefährdung und dem Umgang mit einem möglichen positiven Testergebnis erörtert.

Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich mir noch keine Gedanken über das Sterben gemacht habe. Allerdings nie im Zusammenhang mit Selbstmord. Jedoch bereits sehr intensiv im Zusammenhang mit aktiver Sterbehilfe in der Schweiz. Nachdem ich das leidvolle und auch qualvolle Sterben meines Vaters über Monate mitangesehen und begleitet habe, stand für mich fest, sollte ich diese Krankheit in mir tragen, werde ich einen anderen Weg einschlagen, solange mir das noch geistig und körperlich möglich ist.

Alles in allem war das Gespräch mit dem Psychologen für mich nicht besonders wertvoll. Ich muss jedoch gestehen, ich bin kein Freund der Psychotherapie, obwohl ich das schon mehrfach versucht habe. Für mich passt es halt einfach nicht. In diesem Fall habe ich ihm zu Beginn 5 Minuten lang meinen Namen und meine Adresse buchstabiert, und er hat langsam, ganz langsam mitgeschrieben. das witzige an der Sache ist, dass sein Gutachten dann einen komplett falsch geschriebenen Namen ausgewiesen hat, aber sein Füller war hübsch. In dieser Sitzung hatte ich 95 Prozent Redeanteil. Er hat sich bedankt, dass ich ihm so viel und umfassend über die Krankheit erzählt habe, und hat mir attestiert dass ich sehr gut reflektiert bin, na immerhin.35 Minuten und dafür 120 EUR, eine gute Sache, ich sollte meinen Stundensatz nochmal überdenken.

Was danach kam, hat mich überrascht. Unter Tags war alles kein Problem, natürlich habe ich mich hin und wieder zu diesem Thema unterhalten, aber es hat mich nie belastet. In der Nacht sah es dann ganz anders aus. Ich bin super müde immer sofort eingeschlafen, doch irgendwann mitten in der Nacht aufgewacht, schweißgebadet und mit der Erinnerung an etliche seltsame Träume. Dann war entweder stundenlang nicht mehr an einschlafen zu denken, oder es folgte eine unruhige Nacht mit kurzen Schlafphasen, in Abwechslung mit gedankenintensiven Wachphasen.

Nach drei Wochen dann endlich der Termin für die Speichelprobe. Geistig war ich darauf ausgerichtet, dass ich dann eine Woche später zur Befundbesprechung kommen darf. Zumindest hatten wir das im Erstgespräch so besprochen. Als mir dann die Sekretärin sagte, ich dürfte in zwei Wochen anrufen um einen Termin zu vereinbaren, war das ein Schlag in den Magen. Wie jetzt? noch länger warten? Ganz ehrlich, warten ist die moderne Form der Folter. Im Endeffekt habe ich den Arzt nochmal persönlich angerufen, um mir erklären zu lassen, warum ich nun doch noch viel länger als abgesprochen warten muss. Siehe da, und schon ging es früher. Ich frage mich, wozu es eine Prüfrichtlinie für diese Krankheit gibt wenn sich niemand exakt daran hält. Der Humangenetiker sagte im Erstgespräch, ich dürfte nach drei Wochen zum Speicheltest kommen. Nach zwei Wochen rufe ich an, um mir einen Termin in einer Woche auszumachen, und mir wird angeboten sofort zu kommen?!

Gut, dass die Wartezeit jetzt überstanden ist, heute ist es soweit, Befundbesprechung um 14 Uhr.

Wie es mir geht? Ich müsste lügen wenn ich sage, ich bin gelassen und entspannt. Aber ich fühle eine gewisse Gleichgültigkeit in mir. Wir alle wissen nicht, was das Leben für uns bereit hält. Was wird morgen sein? In meinem Fall erfahre ich heute ein Stück Zukunft. Mir wird gesagt, ob ich eine unheilbare Krankheit in mir trage, die circa 15 Jahre nach Ausbruch unweigerlich zum Tod führt. Zu einem grausamen und langsamen Sterben auf Raten. Irgendwann ist der Körper von der Krankheit so ausgezehrt, dass man entweder verhungert oder erstickt. Beides keine wünschenswerten Sterbeformen. Ein an Chorea Huntington erkrankter Mensch verbraucht täglich rund 10.000 Kilokalorien oder sogar noch mehr. Die Muskeln sind ständig in Bewegung, der Körper zuckt und krampft, auch in der Nacht. Sichtbar und unsichtbar. Für mich eine paradoxe Vorstellung, ein Leben lang habe ich danach gestrebt mühevoll mein Gewicht zu regulieren und war ständig auf Diät oder zumindest auf bewußte Ernährung aus. Und jetzt das.

Wenn ich tief in mich horche, und spontan sagen müsste ob ich glaube, dass ich positiv oder negativ bin, ich würde sagen, ich bin negativ. Ganz ehrlich, mein Rucksack ist voll gepackt, und ich habe ihn schon in jungen Jahren erfolgreich über sehr lange Distanz getragen und habe trotzdem mein Lächeln nicht verloren. Es ist kein Platz mehr in meinem Rucksack für diesen Scheiß, ich habe es mir verdient ein schönes und gesundes Leben zu führen. Krankenhäuser habe ich schon zur genüge von innen gesehen und Schmerzen geduldig ertragen.Sollte ich wieder Erwarten doch positiv sein, ist meine größte Sorge, noch rechtzeitig vor Ausbruch der Krankheit alles in die Wege zu leiten. Was ist alles? Eine Berufsunfähigkeit- und Pflegeversicherung habe ich schon vor dem Teststart abgeschlossen, weil es so sein muss, danach geht nichts mehr.

Der nächste Schritt ist, mit Dignitas in der Schweiz zu telefonieren, nicht weil ich sofort sterben möchte, nein, aber ich möchte die Gewissheit haben, alles in die Wege geleitet zu haben, um die Möglichkeit zu haben, zu einem Zeitpunkt, den ich selbst definiere, würdevoll sterben zu dürfen. Es gilt zu definieren, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist. Momentan würde ich sagen, wenn es mir nicht mehr möglich ist meine Körperflüssigkeiten unter Kontrolle zu halten und somit gezwungen werde Windeln zu tragen, und es schwierig wird, die Hand selbständig zum Mund zu führen um zu Essen. Zweiteres muss noch gegeben sein, um in der Schweiz Erlösung zu finden, denn schließlich muss ich selbst die Medikamente zum Mund führen. Grausame Vorstellung? Nein, für mich nicht. Für mich ist das sogar ein Lichtblick, dass es einen legalen Weg geht um sich dieser bestialischen Krankheit nicht bis zum bitteren Ende ausliefern zu müssen.

Selbstverständlich muss ich auch beruflich Vorkehrungen treffen. Ich muss sicher stellen, dass ich mich nicht selbst sabotiere und mir alles was ich über die Jahre aufgebaut habe kaputt mache, nur weil mir durch das krankhafte Gen die Gehirnzellen absterben. Hier den richtigen Zeitpunkt zu treffen ist glaube ich noch schwieriger zu definieren, aber darüber habe ich mir noch keine genaueren Gedanken gemacht, da ich ja davon ausgehe, dass ich negativ getestet werde – die Macht der positiven Gedanken.

der Tag der Ergebnissverkündung fühlt sich eigenartig an. Obwohl es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben oder Tod geht, bin ich innerlich ganz ruhig und harre der Dinge die kommen. Ich spüre die Aufregung meiner Liebsten, mein Mann begleitet mich ins Genlabor, sein Nervenkostüm ist aufs Äußerste angespannt. Schließlich erfahren wir gleich, ob ich diese abscheuliche Krankheit geerbt habe und eventuell bald daran erkranke, oder ob wir gemeinsam alt und grau werden und irgendwann, woran auch immer sterben.

In der ganzen Phase dieser Testung habe ich keinen Menschen getroffen, der gerne über das Sterben gesprochen hat. Fast schien es, ob durch das nicht darüber sprechen, der Sensenmann ausgetrickst werden kann. Ich habe mich intensiv und viel mit diesem Thema beschäftigt, und nein, ich bin nicht depressiv. Oft wurde ich gefragt, warum tust du dir das an, nicht nur die Testung, auch über den Tod nachzudenken. Für mich ist ganz klar, der Tod ist unausweichlich, und er trifft uns alle, früher oder später. Aber eines ist auch sicher, er hat viele Gesichter. Ob ich nun einen Vorteil habe, weil ich mich damit auseinandergesetzt habe bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich werden wir zur Stunde Null dann aber doch denken, ersten kommt es anders, zweitens als man denkt. Gut, dass wir nicht alles im Leben planen können.

Hand in Hand die Treppen hoch ins Labor, Herzklopfen bis zum Hals, warten, Türe öffnet sich, im Vorraum weiter warten auf den Arzt, ich höre seine Stimme, er kommt, trockenes Schlucken, jetzt kommt sie, die Angst, es ist so weit. Er gibt mir die Hand und legt gleichzeitig die zweite auf meine Schulter:“Gleich vorweg, es ist alles gut, sie sind negativ.“ Eine Welle an Emotion schwappt über, Erleichterung, Freude, Bestätigung. Was liegt näher, Lachen oder Weinen? Beides, am besten gleichzeitig, jedoch stehe ich mir wie immer selbst im Weg, bewahre die Fassung, setzte ein Lächeln auf und artikuliere Freude, zeige sie jedoch nicht, zumindest nicht so, wie ich sie fühle.

Auf der Strasse draußen gebe ich dem Impuls nach, zu springen, hüpfen wie ein Kind, an der Hand meines Mannes. Ich freue mich wirklich, rufe alle meine Lieben an und teile Ihnen die frohe Botschaft mit, auch all jene die mit mir mitgefiebert haben verständige ich zumindest über eine Textnachricht – alles ist gut!. Das Feedback ist überwältigend. Es tut gut zu spüren, dass sich so viele Menschen mit mir und für mich freuen.

Dann kommt die Ernüchterung, der Dämon hat von mir und meiner Tochter abgelassen. Mein Bruder und seine drei Kinder, sowie mein Cousin und seine Tochter tragen nach wie vor das Risiko in sich. Die Entscheidung, diesen anstrengenden und sehr belastenden Weg der Testung zu gehen obliegt jedem einzelnen selbst. So sehr ich mich für mich freue, so sehr leide ich mit denen, die es getroffen hat. Bei meinem Onkel ist es bereits ausgebrochen und sichtbar. So gerne ich es auch anders sehen möchte, wenn wir selbst nicht unter der Krankheit leiden, so leiden wir dennoch mit denen die wir lieben. Zuerst meine Großmutter, dann mein Vater, jetzt mein Onkel. Ich bete zu Gott, dass mein Bruder verschont bleibt. Unserer Familie ist schon soviel Leid widerfahren, es darf jetzt genug sein!

Diese  Entscheidung, mich auf Chorea Huntington testen zu lassen war die schwerste meines Lebens. Aber egal wie hart es für mich ist, wie grausam die Wahrheit auch sein mag, ich muss sie kennen. Die Vogel-Strauß Politik liegt mir nicht, ich sehe meinen Dämonen gerne ins Gesicht, wenn es sein muss mit einem Lächeln, und zusammengebissenen Zähnen. Aber alles besser, als sie hinter mir lauern zu spüren und aus dem Hinterhalt angefallen werden.

 

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